Die Kosmetikindustrie ist ein Wachstumsmarkt, getrieben von Ländern wie China, den USA oder Russland. Besonders Naturkosmetik verzeichnet global deutliche Umsatzzuwächse, allein in Deutschland machen Natur- und naturnahe Kosmetik bereits 18,5% des Gesamtumsatzes aus – Tendenz steigend. Das Streben nach Natürlichkeit, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit liegt im Trend. Was viele jedoch nicht wissen: auch natürliche Kosmetik muss nicht gut für die Umwelt oder die Menschen sein. Und das liegt an einem natürlichen Zusatzstoff namens Mica.
Mica und seine Bedeutung
Mica, auch Glimmer genannt, ist für die Kosmetikindustrie, aber auch in der Automobil- sowie Elektronikindustrie wichtiger Rohstoff. Es besteht aus Mineralien, die für den erwünschten Glanzeffekt sorgen und vor UV-Strahlung schützen. Man findet es auf der Liste der Inhaltsstoffe (INCI) auch unter der Bezeichnung CI 77019 und ist sogar für zertifizierte Naturkosmetik zugelassen.
Mica wird oft in Puder, Lippenstiften, Lidschatten, Nagellacken, Karnevalsschminke und in Zahnpasta verwendet.
Mica kommt weltweit vor, doch insbesondere in China und Indien wird der Rohstoff abgebaut. Rund um die Stadt Koderma im indischen Bundesstaat Jharkhand liegen die größten Mica-Vorkommen der Erde. 30% des nach Europa importierten Micas kommt offiziell legal aus Minen in Rajasthan. In Wirklichkeit jedoch kommt es zu 90% aus illegalen Minen der indischen Bundesstaaten Jharkhand und Bihar im Nordosten Indiens.
In den 1980er Jahren wurden die Minen in Jharkhand und Bihar unrentabel, weil strengere Gesetze zum Naturschutz beschlossen wurden. Die Nachfrage in China feuerte das Geschäft allerdings wieder an und so nutzen illegale Pächter die Minen weiterhin, um dort mithilfe der lokalen Bevölkerung Mica abzubauen.
Die Bevölkerung ist bitterarm; Jharkhand und Bihar zählen zu den ärmsten Bundesstaaten Indiens. Landwirtschaft und Rohstoffabbau gehören zu den wichtigsten Einnahmequellen, jedoch führt der Klimawandel in der ohnehin armen Region zu andauernden Dürrephasen, die die Felderträge erheblich reduzieren. Mittlerweile ist der illegale Micaabbau für 90% der lokalen Bevölkerung überlebenswichtig geworden.

Kinderarbeit
Neben den ökologischen Schäden, die die illegalen Minen in den Naturschutzgebieten verursachen, ist Kinderarbeit ein weit verbreitetes Problem beim Micaabbau. Laut terre des hommes und der NGO SOMO arbeiten etwa 22.000 Kinder in Jharkhand und Bihar, obwohl Minenarbeit auch in Indien für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten ist. Bei der Arbeit in Minen sterben doppelt so viele Kinder wie in der Landwirtschaft, was diese Form der Arbeit zur gefährlichsten Tätigkeit für Kinder macht. Sie arbeiten aufgrund von extremer Armut mit ihren Eltern und Geschwistern in den Minen, anstatt zur Schule zu gehen.
Die Kinder und ihre Eltern gehören mehrheitlich der Adivasi an, einer indigenen Bevölkerungsgruppe oder sind als Dalits („Unberührbare“) gefangen auf der niedrigsten Stufe des indischen Kastenwesens. Das Einkommen der Minenarbeiter ist fast das niedrigste in ganz Indien – nur die ostindischen Teeplantagenarbeiter verdienen noch weniger. Fast die Hälfte der lokalen Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben.
Da die Minen illegal sind, werden Unfälle, beispielsweise durch Einstürze, nicht zur Anzeige gebracht. Die Kinder sind beim Sammeln der Glimmersteine stundenlang der heißen Sonne ausgesetzt; unter Tage führt Quartzstaub zu Problemen in der Lunge. Die Kosten der ärztlichen Behandlung übersteigt das Einkommen der Familie, weshalb ein neuer Armutskreislauf entsteht.

Wirtschaftsinitiativen
Terre des hommes und SOMO betonen in ihrem ausführlichen Bericht „Global Mica Mining and the impact on children’s rights“ die Notwendigkeit, das Wurzel der Kinderarbeit zu bekämpfen – die Armut der Eltern. Gesetzliche Verbote und Polizeikontrollen alleine führen nur zu einem noch tieferen Rückzug in die Wälder und dadurch noch größerer Schutzlosigkeit der Kinder.
2017 wurde nach einem ersten Bericht über die Zustände beim Micaabbau die „Responsible Mica Initiative“ gegründet. Ziel ist es, die Minen zu legalisieren und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern, um Kinderarbeit zu verbannen. Mitglieder sind NGOs und Unternehmen wie die deutsche Firma Merck, die zu den Hauptabnehmern von lokalem Mica für Kosmetikprodukte zählt. Merck finanziert Schulen und ein Gesundheitszentrum in Jharkhand und versucht, die Herkunft seines Mica zu tracken und die Minen durch unabhängige Audits zu kontrollieren. Laut einer aktuellen ZDF-Reportage wissen die Minenbesitzer jedoch genau, wann auditiert wird und fälschen zudem Zertifikate. In seinem letzten „Responsibility-Bericht“ beschreibt Merck das Ziel, Mica vermehrt aus anderen Regionen wie Brasilien zu sourcen und synthetisches Mica zu verwenden.
Auch die Firma Lush setzt seit 2018 ausschließlich auf synthetisches Mica, in der Zutatenliste als „synthetic mica“ oder „synthethic fluorphlogopite“ erkennbar und im Labor hergestellt. Der Responsible Mica Initiative wollte sich das Unternehmen nicht anschließen mit der Begründung, zu klein für einen richtigen Impact zu sein. Doch ist das der richtige Weg für die Menschen vor Ort? Ist es die Lösung, nur noch Kosmetikprodukte mit synthetischem Mica zu kaufen?

Was können wir als Käufer tun?
Zunächst ist es wichtig, sich überhaupt einmal bewusst zu werden, wo Mica überall drin ist. Wie oben beschrieben, ist es in der Liste der Inhaltsstoffe von Kosmetik gut erkennbar. Die Responsible Mica Initiative versucht, den Menschen vor Ort zu helfen und Unternehmen und lokale Behörden für die Probleme der Armut und Kinderarbeit zu sensibilisieren. Du als Käufer kannst hier einsehen, ob der Hersteller Deiner Kosmetik aktives Mitglied dieser Initiative ist. Bevorzuge Produkte dieser Unternehmen.
Es ist keine Lösung, Produkte mit natürlichem Mica zu boykottieren, da die Menschen vor Ort dann keine Lebensgrundlage mehr haben und Unternehmen keinen Anreiz, sich in der Region zu engagieren.
Du kannst mit einer Spende das Kinderhilfswerk terre des hommes unterstützen, das konkret die Situation der Kinder im Blick hat und NGOs vor Ort unterstützt.
Frag bei den Herstellern aktiv nach, woher das natürliche Mica in ihren Produkten kommt. Bisher ist das Thema bei Konsumenten wenig bekannt, doch wir alle haben eine Stimme. Insbesondere zertifizierte Naturkosmetikhersteller sollten ein Interesse daran haben, Ihre Produkte unter ökologischen und sozialen Arbeitsbedingungen herzustellen.
Fazit
Für unseren glanzvollen Auftritt schuften Tausende Kinder in illegalen Minen in Indien. Auch wenn man meint, sich und der Umwelt etwas Gutes zu tun und auf Zertifikate setzt, kann man nicht sicher sein, dass Umwelt und Menschenrechte geschützt werden. Das kann frustrieren und hilflos machen.
Europa ist der mit Abstand größte Kosmetikmarkt der Welt. Darin liegt die Chance, dass Unternehmen auf die Stimme ihrer Käufer hören müssen, um am Markt erfolgreich zu bleiben.
Der erste Schritt ist immer die Information, das Wissen. Das Thema ist noch sehr jung, und es besteht die Hoffnung, dass sich mit dem Wissen in der Bevölkerung auch der Druck auf die Unternehmen erhöht, an den Umständen in Jharkhand und Bihar nachhaltig etwas zu verbessern. Das erste Ziel muss die Legalisierung der wichtigsten Minen sein, um dort wenigstens den indischen Mindestlohn zu zahlen und die Kinder zur Schule zu schicken. Ohne einen Zusammenschluss der Unternehmen geht das nicht.
Teile diesen Artikel mit anderen! Viele kennen das Thema nicht.
Jede Familie, jedes Kind in den Minen wird Dir dafür danken, dass sie nicht unsichtbar bleiben.
Dagmar Meske
Co-Gründerin Treepoint
Quellen:
- https://medium.com/@polina_choparinova/der-beauty-markt-entwicklung-tendenzen-und-prognosen-bde8a03e2436
- https://en.wikipedia.org/wiki/Mica
- https://www.kosmetik-international.de/praxiserfolg/kosmetik-international/artikel/naturkosmetik-im-trend/
- https://www.kosmetiknachrichten.de/2020/02/29/schoenheitspflege-2019-markt-stagniert-naturkosmetik-mit-hohen-steigerungsraten-automatisch-gespeicherter-entwurf/
- https://medium.com/@polina_choparinova/der-beauty-markt-entwicklung-tendenzen-und-prognosen-bde8a03e2436
- https://www.spiegel.de/wirtschaft/indien-wie-kinder-in-den-glimmer-minen-von-jharkhand-ausgebeutet-werden-a-1149309.html
- https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/kosmetik-schminke-kinderarbeit-indien-mica-100.html
- https://india.mongabay.com/2019/10/mica-scavenging-in-jharkhand-destroys-lives-and-environment/
- https://www.spiegel.de/wirtschaft/indien-wie-kinder-in-den-glimmer-minen-von-jharkhand-ausgebeutet-werden-a-1149309.html
- https://responsible-mica-initiative.com/
- https://www.financialexpress.com/economy/around-22-indians-live-below-poverty-line-chattisgarh-jharkhand-fare-worst/1713365/
- https://news.trust.org/shorthand/mica/
- http://www.terredeshommes.org/india-child-labour-in-mica-products/
- https://www.somo.nl/wp-content/uploads/2018/03/NL180313_GLOBAL-MICA-MINING-.pdf